In der Blogreihe IM FOKUS setzen sich die einzelnen Artikel mit speziellen Themen rund um das Förderprogramm auseinander. Zunächst stellt die Reihe Inhalte und Ergebnisse der thematischen Arbeitsgruppen im Rahmen des Netzwerktreffens am 11. September 2018 vor. Der folgende Artikel widmet sich dem noch verbleibenden Themenschwerpunkt des Netzwerktreffens: die Zielgruppenansprache. Ida Farkas und Franca Feil aus dem Kulturkoffer-Team hatten das Thema mit der interessierten Arbeitsgruppe bearbeitet.
Impulssetzendes Interview mit einem erfolgreichen Projekt für Jugendliche
Bereits im Rahmenprogramm des Netzwerktreffens führte Ida Farkas ein Interview mit Tobias Kurth aus dem Salad-Bowl-Theaterprojekt mit Jugendlichen in Limburg und Umgebung, was erste Impulse zum Thema der gekonnt angewandten Gewinnung von Projektteilnehmer*innen setzte: Tobias Kurth ist Geschäftsführer der Kulturenwerkstatt in Limburg. Er ist der Initiator und Koordinator des Kulturkoffer-Projekts Salad Bowl Culture, bringt die beteiligten Akteure zusammen, entwickelt das Projekt mit dem beteiligten Künstler*innen, ist für die Logistik, Teilnehmer*innen-Akquise und vieles Weitere zuständig. Das Salad Bowl Culture Projekt wird von Jugendlichen gut angenommen.
Was ist die Zielgruppe der Salad Bowl Projekte und warum?
Eine heterogene Gruppe von Jugendlichen (Geflüchtete, Abiturienten, bildungsbenachteiligte Jugendliche etc.) sollen zusammenkommen. Hauptziel dabei ist es, voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu unterstützen.
Wir versuchen, Jugendliche über 16 Jahre anzusprechen, denn bei uns gibt es kaum Angebote für diese Altersgruppe. Die meisten Angebote wenden sich an Jugendliche bis 14 Jahre, die meist über die Eltern an diese herangetragen werden. Das ist dann etwas einfacher.
Wie erreichen Sie, dass diese Jugendlichen Lust haben, ein Theaterprojekt zum Thema Antigone und Grundgesetz zu besuchen?
Welche Aspekte sind dabei in der Konzeptentwicklung, Planung und Organisation wichtig?
Die Zielgruppe und ihre Bedürfnisse müssen immer im Mittelpunkt stehen und eines der wichtigsten Bedürfnisse der Jugendlichen ist zunächst einmal, dass sie Zeit und einen Raum haben, um zusammen sein zu können. Außerdem brauchen sie genug Bewegungsfreiraum, um sich auszutoben; sie wollen sich gerne voreinander zeigen und präsentieren und brauchen auch dazu einen geschützten Raum, um sich das wagen zu können. Diese Bedürfnisse integrieren wir in die Projektstruktur: es gibt genügend Platz für gemeinsames Essen, ausgedehnte Pausen und Basketball und dann auch wieder fürs gemeinsame Theaterspiel. Gemeinsam versuchen wir, alle aufkommenden Hürden abzubauen.
Was sind die typischen Hürden?
Für Jugendliche aus dem ländlichen Raum sind die gravierendsten Hürden meist die schlechten Bus- und/oder Zugverbindungen, besonders an den Wochenenden und Feiertagen haben sie kaum eine Chance, selbstständig flexibel zu sein. Daher versuchen wir gemeinsam, Fahrdienste zu organisieren, so dass sie nicht allein von den eigenen Eltern abhängig sind. Außerdem ist es relevant, sich auf die Zeiten der Jugendlichen einzulassen: Wann haben sie Zeit? Wann ist ihnen eher langweilig? Häufig finden daher die Treffen am Wochenende oder an Feiertagen statt. Wir müssen zudem recht flexibel auch mit fortlaufenden Terminketten umgehen und uns um Prüfungstermine oder auch Zeiten von Ramadan und Co herum drapieren.
Wie akquirieren Sie die Jugendlichen konkret?
Direkte Ansprache auf der Straße ist eigentlich das allerbeste. Außerdem nutzen wir die Verbreitung der Angebote über eine Whats-App-Gruppe der bereits informierten Jugendlichen. Erstes kleinstes Ziel ist es, dass die Jugendliche überhaupt einmal unverbindlich vorbeikommen, um sich das Projekt anzuschauen.
Es hat sich aus Erfahrung die 48-Stunden-Regel etabliert: Jugendliche planen für die nächsten 48 Stunden, somit sollte eine Teilnehmer*innen-Akquise 48 Stunden vor Projektbeginn ohne Voranmeldung immer noch einiges an Zulauf versprechen.
Oft dienen Flyer nur als Infozettel und die persönliche Ansprache sowie Einbindung in eine Whats-App-Gruppe bringt weitaus mehr.
Wir gehen außerdem auch in die Schule und nutzen Kontakte zu Schulleitung oder Klassenlehrer*in. Dabei stellen wir bei einem Besuch direkt im Unterricht das Projekt vor und versuchen hier auch gleich Kontaktdaten für die WhatsApp-Gruppe zu bekommen. In unserem Fall erweist sich dabei die enge und vertrauensvolle Kooperation mit der berufsbildenden Adolf-Reichwein-Schule Limburg für alle Beteiligten als sehr gewinnbringend.
Was empfehlen Sie für unerfahrene Projektträger?
Die wichtigste Eigenschaft, um das Vertrauen und Interesse der Jugendlichen zu erhalten ist zunächst einmal Offenheit auf allen Ebenen:
Fluktuation der Teilnehmer*innen ist natürlich und damit muss umgegangen werden. Die Erwartungen an die Ergebnisse eines Projekts dürfen nicht zu eng gesteckt sein. Wenn man vorher nur gewohnt war mit professionellen Künstler*innen, Musiker*innen usw. zu arbeiten, so muss man seine Arbeitsweise doch etwas umstellen: die Probephasen werden nicht so professionell ausfallen und man hat wie gesagt mit Fluktuation und auch Unpünktlichkeit zu rechnen. Besonders hilfreich ist es für ein Projekt, wenn für die Jugendlichen bereits vertraute Personen aktiv einbezogen werden.
Diskussionen in der Arbeitsgruppe
Inspiriert durch das Interview bewegte sich die aus verschiedenen Bereichen der Kinder- und Jugendarbeit zusammengesetzte Gruppe direkt mitten hinein in eines der zentralen Themen zur Zielgruppenakquise, nämlich die Tipps und Tricks, wie durch die persönliche Ansprache die gewünschten Teilnehmer*innen erreicht werden können. Natürlich ist das sogenannte „Klinkenputzen“ eine der zeitintensivsten Weisen, für die Teilnahme an einem spannenden Projekt zu werben, aber – wie die einhellige Meinung in der Gruppe bestätigte – eine sehr zielführende Methode. Besonders hilfreich sei es dabei auch, sinnvolle Multiplikator*innen, also für die gewünschte Zielgruppe vertraute Personen, zu finden, die die Informationen zum Projekt gut streuen können und meistens besser für die persönliche Ansprache geeignet sind. Beispiele für solche Multiplikator*innen:
- Ein Projekt für Kindergartenkinder bildet Mütter als Scouts aus, die für die weitere Teilnehmer*innenakquise zuständig sind.
- Interessierte Jugendliche können direkt einbezogen werden, damit sie wiederum ihre Peergroup mobilisieren, denn es ist generell schwierig, Jugendliche für ein Projekt zu gewinnen, die nicht über eine Gruppe kommen.
- Kontaktaufnahme mit Jugendringen, Jugendhäusern, Jugendförderungen kann weiterhelfen.
- Engagierten Lehrer*innen können in die Teilnehmer*innenakquise eingebunden werden.
Wie beim Schneeballprinzip könnten so immer größere Kreise erreicht werden.
Ein großes Bedürfnis nach Erfahrungsaustausch gab es auch zum Thema Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, speziell hierbei ging es um den Bereich der Social Media und darum, welches die geeigneten Kommunikationskanäle für die Zielgruppe Kinder- und Jugendliche sind: Nur, wenn man weiß, wie sich Kinder und Jugendliche informieren, kann man sie auch auf diesem Wege erreichen. Gedruckte Werbemittel funktionierten häufig nicht so, wie erhofft. Oft dürfe man in Schulen keine Flyer auslegen oder das Prozedere bis zu einer Erlaubnis sei sehr bürokratisch. Es stellte sich die Frage, ob es dann überhaupt Sinn mache, gedruckte Werbemittel zu produzieren.
Natürlich kam die Frage auf, welche Hürden und Hemmschwellen es zur Teilnahme an Projekten geben könnte und wie diese zu überwinden und abzubauen seien. Natürlich sollte immer wieder überprüft werden, ob bei der Projektthemenwahl auch die Zielgruppe mitbedacht wurde, noch besser sei es die zukünftigen Teilnehmer*innen gleich in die Themenfindung mit einzubeziehen. Auch könne die Betonung der elementaren Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen, wie die Möglichkeit im Projekt mit Altersgenossen Zeit zu verbringen und einen gemeinsamen Freiraum zu haben Hemmungen abbauen, die häufig mit zu großem Leistungsdruck einhergingen. Am wichtigsten sei es, die Kinder und Jugendlichen auf Augenhöhe abzuholen, bevor man sich gemeinsam und behutsam in neue Bereiche wage. Grundsätzlich sei es jedoch immer und ständig wichtig, die eigene Arbeit zu hinterfragen, gerade, wenn die Teilnehmer*innenakquise nicht reibungslos verläuft:
- Ist das Thema des Projektes relevant für die Teilnehmer*innen? Wie kann das Thema noch besser vermittelt werden?
- Sind die Projektzeiten für die Teilnehmer*innen stimmig? Entweder ein Ferienprojekt oder ein Projekt im laufenden Schuljahr, denn Ferien innerhalb eines Projekts führen meist zu Abbrüchen der Teilnahme.
- Welche Hürden könnte es noch geben? Zu hoher Beitrag, der Projektort ist nicht vertraut oder schwer zu erreichen…
Wichtigstes Moment in der Projektarbeit aber sei es überhaupt, immer alle Teilnehmer*innen wertzuschätzen, auch wenn es nur wenige sind. Dadurch kann die Gruppe zukünftig wachsen und Vertrauen aufbauen. Und die Arbeit in einer kleineren Gruppe sei doch auch sehr intensiv und bereichernd für alle.
Die abschließende Idee zum Thema Zielgruppenbindung führte zu einer lebhaften und kontroversen Diskussion: wie wäre es, die Teilnehmer*innen zu bezahlen! Dies würde zwar eine finanzielle Wertschätzung der von den Teilnehmer*innen geleisteten „Arbeit“ bedeuten, jedoch stelle sich die Frage, welche Werte dadurch vermittelt werden: Was ist Arbeit? Funktioniert Wertschätzung nur noch über finanzielle Gegenleistung? – Gefährliches Gedankenspiel! Letzten Endes sollte die Qualität eines Projekts immer in erster Linie überzeugen und daher auch nachhaltig unterstützt werden, auch wenn quantitativ zunächst wenige erreicht werden – aus wenigen können immer auch viele werden.
si
Von Ida Farkas und Franca Feil
Weitere Informationen
Blogartikel zur Netzwerkveranstaltung in Marburg vom 20.09.2018
Blogartikel: IM FOKUS: Kulturelle Bildung im ländlichen Raum vom 20.11.2018
Blogartikel: IM FOKUS: Nachhaltige Projektarbeit vom 15.12.2018
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