Gleich drei Projekte in 2019 beschäftigten setzten sich mit der Welt von Gehörlosen beziehungsweise Schwerhörigen auseinander: Im Theaterhaus in Frankfurt wurde ausgehend vom Verein Kunst für Kinder e. V. gemeinsam mit der Theaterkompanie Augenmusik das Stück „Die zertanzten Schuhe“ inszeniert, die Stiftung für Gehörlose und Schwerhörige in Frankfurt erarbeitete nicht nur eine Ausstellung gemeinsam mit Betroffenen, sondern ging auch in inklusive Klassen, um Hörende in die Welt der Nichthörenden zu integrieren und im Dezember fand in der Schule am Sommerhoffpark – einer Schule mit Förderschwerpunkt Hören – eine Projektwoche zum Thema Glück statt.
Wir können Alles!
Die Theaterkompanie Augenmusik hatte bereits in 2018 mit großem Erfolg die Theaterarbeit für Hörgeschädigte im Theaterhaus in Frankfurt angeboten. Damals wurde das Stück „Die Schneekönigin“ erarbeitet. Der enorme Zuspruch ermutigte die Theatermacher*innen dazu, erneut einen Ort für die gemeinsame künstlerische Arbeit mit hörenden und hörgeschädigten Kinder und Jugendlichen bereitzustellen. In 2019 erhielten sie in Kooperation mit dem Verein Kunst für Kinder e. V. dazu die Förderung des Kulturkoffers und hatten sich das Stück „Die zertanzten Schuhe“ vorgenommen. Von Vornherein gab es einen riesigen Ansturm auf das Projekt, die Warteliste war sehr lang und schlussendlich haben 16 Kinder teilgenommen, davon zehn Mädchen, sechs Jungen; sieben hörgeschädigte Kinder, neun hörende Kinder, davon zwei Kinder gehörloser Eltern (CODAs). Zudem nahmen vier geflüchtete Mädchen teil, die nochmal auf eine andere Weise mit Sprachbarrieren umgehen müssen. Also eine buntgemischte Gruppe, die eine sehr intensive, begegnungsreiche Woche voller Kreativität und Hingabe erleben durfte. Die gehörlosen Kinder, die im letzten Jahr bereits dabei waren und damals zum ersten Mal auf der Bühne standen, waren diesmal Expert*innen, auch gegenüber den hörenden Kindern. Theatermacherin und Projektleiterin Daniela Krabbe konnte bemerken, dass die Kiner an Selbstvertrauen und -bewusstsein gewonnen hatten und das Theaterspiel für sie zu einem wichtigen und liebgewonnenen Ausdrucksmedium geworden war. Das Theater sei für die Nichthörenden wie eine Brücke zu den hörenden Kindern geworden – da Körpersprache und Bewegungstheater wie eine universelle Sprache funktioniere.
Daniela Krabbe begleitete die gesamte Woche sowohl in gesprochener als auch in gebärdeter Sprache. Für alle Seiten war das von Vornherein normal und wurde nicht thematisiert. Ganz im Gegenteil, es machte die Kinder offener füreinander. Ohne zu hinterfragen eigneten sich die Hörenden ganz nebenbei und selbstverständlich eine neue Sprache an. Jedes Kind hatte bereits am ersten Tag einen Gebärdennamen bekommen, den es ganz voller Stolz trug. Eifrig wurde das Fingeralphabet geübt. Bereits in der zweiten morgendlichen Begrüßungsrunde erzählten alle Kinder ganz selbstverständlich in Gebärdensprache, ohne dass es verlangt wurde. Das Zusammenspiel von Hörenden und Gehörlosen konnte im sehr tanz- und musiklastigen Stück sehr gut aufgefangen werden, indem mit lauter Musik und vielen freien Tanzszenen gearbeitet wurde. Letztendlich haben die hörenden Kinder sich sehr viel von der natürlichen ausdrucksstarken Mimik und Körpersprache der gehörlosen Kinder abgeschaut.
Stille Botschaft
Die Stiftung für Gehörlose und Schwerhörige hat ihren Sitz in Frankfurt und arbeitet intensiv daran, Barrieren zwischen den Welten von Hörenden und Gehörlosen abzubauen. Im Rahmen der Kulturkofferförderung hat Projektleitung Ulrike Schneider mit Kolleg*innen der Stiftung zum einen Basisworkshops entwickelt, die Gruppen oder auch Schulklassen, in denen Hörende und Gehörlose zusammenkommen, zur Horizonterweiterung buchen können. Erfahrene Expert*innen und Betroffene helfen in den Gruppen über mögliche Hürden hinweg. Dem Workshopleiter, der gleichzeitig auch Betroffener mit einem Cochleae-Implantat ist, erfuhr aus den vielen Fragen der Kinder und Jugendlichen bei den Workshops, dass es noch sehr viele Defizite bei den Hörenden gibt, was das Wissen um die Welt und die Lebensrealitäten der Gehörlosen ausmacht. Aber auch fehlende Informationen seitens der Betreuer*innen und Lehrkräfte führen schnell zu Missverständnissen bei den Gehörlosen. Umso wichtiger sei hier eine Art der Aufklärung, die spielerisch und kreativ Barrieren abzubauen hilft.
Ein sich ergänzender Baustein im Projekt bildeten daher die sogenannten „Entwickler*innenworkshops“. Dabei trafen sich schwerhörige und gehörlose Jugendliche, die im Rahmen des Evangelischen Vereins an der Philipp-Holzmann Schule ihren Schulabschluss machen, gemeinsam mit dem Workshopleiter Paul Beaury der Agentur Museeon, die speziell darauf ausgerichtet ist, partizipative Konzepte für Museen zu entwickeln, an drei Terminen. Hierbei sollten kreative Möglichkeiten der Kommunikation und der Vermittlung des Universums des Nichthörens entstehen. Verschiedene kreative Mittel kamen in den Workshoptagen zusammen: Es wurden Fotografien entwickelt, die in Bild-Text-Kombination ähnlich von Comics, typische Situationen verdeutlichen oder kurze Filme, die bestimmte Schlüsselszenen veranschaulichen. Ein Memory mit Fragen und Antworten wurde getestet und vieles mehr. Die Resultate werden zum einen in die neu konzipierte Dauerausstellung integriert – die am 22. Januar 2020 eröffnet – und können aber zum anderen die zuvor genannten Basisworkshops erweitern. Alle Beteiligten profitierten sehr von den Entwickler*innenworkshops und konnten jede Menge kreativer Ideen zur Verbesserung der Kommunikation mit in den Alltag nehmen.
Glücks-Tage
Die Kooperation zwischen dem TheaterGrueneSosse und der Schule am Sommerhoffpark hat sich – inzwischen im dritten Jahr – etabliert. Immer wieder neu ist die Umsetzung, feste Bestandteile sind dabei ein Theaterbesuch und ein Showing am Ende der Projektwoche. Die Schulleiterin Frau Schindelmann ist überaus dankbar über die wunderbare Arbeit des TheaterGrueneSosses, denn die Schüler*innen hätten nur selten die Möglichkeit, außer Haus einen Theaterbesuch zu erleben, bei dem dieser im Anschluss noch so professionell und kreativ aufbereitet wird. Die Projektwoche habe erneut aus den Teilnehmenden hervorgezaubert, was sie sich im Alltäglichen kaum zu äußern wagten. So sei die kleine Aufführung am Nikolaustag ein Geschenk für alle – sowohl für die Teilnehmenden selbst als auch für die zuschauenden Mitschüler*innen.
Die Teilnehmenden konnten sich zur Einstimmung die Vorstellung des „Struwwelpeters“ mit Gebärdendolmetscherin im Löwenhof anschauen. Den Start der Projektwoche setzte dann ein Brainstorming zum Thema Glück mit den drei Workshopleiter*innen des Theaters, bei der Geschichten, Situationen und Wünsche zum Thema gesammelt wurden. Daraus wurden gemeinsam kleine Szenen entwickelt. Für diese Szenen gestaltete die Gruppe an einem weiteren Tag kleine Trickfilmsequenzen, die schließlich in die Aufführung eingearbeitet wurden. Eine traumhafte Collage ist dabei entstanden, in der alle Träume wahr werden durften, ob die Reise ins ferne Hawaii oder einfach nur der Wunsch, etwas mutiger zu sein. Wesentlich und gleichzeitig auch schwierig war für die Theatermacher*innen die Integration der Sprachversionen in das Stück. Gleiche Anteile an Lautsprache und Gebärdensprache sollten theatral integriert werden, um gleichberechtigte Möglichkeiten zu schaffen. Die 19 beteiligten Kinder jedenfalls sprühten nach der Aufführung vor Stolz – sie hatten über eine halbe Stunde ohne Assistenz völlig selbstständig eine hervorragende Vorstellung hingelegt. Bei dieser Form der Arbeit sei für alle etwas dabei und jed/r könne die eigenen Grenzen erforschen und überschreiten, strahlte auch das TheaterGrueneSosseTeam nach der erfolgreichen Show.
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Weitere Informationen
Projektbeschreibung Wir können alles!
Compagnie Augenmusik
Kunst für Kinder e. V.
Projektbeschreibung Stille Botschaft
Frankfurter Stiftung für Gehörlose und Schwerhörige
Museeon
Projektbeschreibung Glücks-Tag
TheaterGrueneSosse
Schule am Sommerhoffpark